Aufgrund von Wartungsarbeiten ist das Ausstellungsschiff FRANZ-CHRISTIAN nicht zugänglich.
Vom Meisterwerk zum Museum
Das Schiffshebewerk Henrichenburg war ein Schlüsselbauwerk des Dortmund-Ems-Kanals, denn erst mit seiner Fertigstellung konnte der Kanal bis zum Dortmunder Hafen befahren werden. Dieses Hebewerk ist das größte und spektakulärste Bauwerk am Dortmund-Ems-Kanal. Das einstige Meisterwerk der Technik begeistert bis heute seine Besucher:innen.
Die Anfänge des Hebewerks
Mit dem Entschluss zum Bau des neuartigen Schiffshebewerks hatte Preußen ein weithin sichtbares Zeichen gesetzt. Die Eisenbahn hatte den Massengut-Transport zu und von den Seehäfen nur mit großen Schwierigkeiten bewältigen können. Um den Aufschwung der Montan-Industrie im Ruhrgebiet zu unterstützen, sollte ein zweites leistungsstarkes Transport-System aufgebaut werden: eine inländische Binnenschifffahrt. Ein Mittellandkanal sollte Oder, Elbe, Weser, Ems und Rhein verbinden. Dabei trafen viele gegensätzliche Interessen aufeinander. Die ostelbischen Junker als die konservativen Vertreter der Landwirtschaft lehnten die Pläne genauso ab wie die Vertreter der Schwerindustrien im Saarland und in Schlesien. Um den Widerständen aus dem Weg zu gehen, konzentrierte sich die preußische Regierung auf die Verwirklichung eines ersten Teilstücks, auf den Bau des Dortmund-Ems-Kanals: Kohle Kurs Emden, Erz für die Montan-Region Dortmund. Auch die von Fachleuten als zu eng kritisierte Begrenzung der Schiffsgrößen (67 m Länge, 8,20m Breite, 2 m Tiefgang) war ein Zugeständnis an die Gegner der Pläne.
Eröffnung durch Kaiser Wilhelm II.
Der preußische König Wilhelm II. nutzte die Feierlichkeiten zur Inbetriebnahme des Dortmund-Ems-Kanals am 11. August 1899 zu einer demonstrativen Erklärung an die Adresse der Kanal-Gegner: „Der Kanal kann nur voll wirken in Verbindung mit dem Mittellandkanal, den in Angriff zu nehmen meine Regierung unerschütterlich entschlossen ist. (Bravo)“. Der Kampf um den Mittellandkanal ging weiter.
Mit Hilfe des Schiffshebewerks Henrichenburg sollten Schiffe eine Geländestufe mit 14 m Höhenunterschied überwinden. Wirtschaftliche und betriebstechnische Überlegungen hatten zu dieser Lösung geführt. Sie war kostengünstiger als die zunächst vorgesehene Schleusentreppe mit zwei oder drei Schleusen.
Das Schiffshebewerk Henrichenburg war eine technische Neuheit. Es war das erste ausgeführte Mehrschwimmer-Hebewerk. Das zu bewegende Gesamtgewicht betrug etwa 3100 Tonnen. Schiffe bis zu 750 Tonnen Ladefähigkeit konnten gehoben werden. Die Senkrecht-Hebewerke in England, Frankreich und Belgien aus der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts nahmen „nur" Schiffe bis zu 400 Tonnen auf; sie arbeiteten auf der Grundlage hydraulischer Prinzipien als Presskolben-Hebewerke. Neu beim Schiffshebewerk Henrichenburg war die Geradführung des Trogs mit vier Schraubenspindeln (Patent von F. Jebens). Die technische Nutzung des Auftriebs dagegen war seit der Antike bekannt (Archimedisches Prinzip).
Das Schiffshebewerk Henrichenburg war auch nicht das erste Schwimmer-Hebewerk der Welt. Versuchsanlagen in der Form eines Ein-Schwimmer-Hebewerks von Rowland / Pickering und in Form einer Tauchschleuse von Robert Weldon für ein Kanal-System mit kleinen Schiffen wurden Ende des 18. Jahrhunderts in England verwirklicht. Ein Einschwimmer-Hebewerk nach englischem Vorbild baute Charles Faurey 1806 am Canal du Creusot, einem Stichkanal zum Canal du Centre in Frankreich. Um 1900, nach der erfolgreichen Inbetriebnahme des Schiffshebewerks Henrichenburg, erreichte die internationale Diskussion der Ingenieure über die beste Art der Schiffshebung mit Hilfe eines Senkrecht-Hebewerks oder einer geneigten Ebene einen Höhepunkt.
Das Prinzip des Schwimmer-Hebewerks
Der Ehrgeiz, das erste Schiffshebewerk für große Binnenschiffe zu bauen, beflügelte viele Ingenieure. Deshalb bemühte sich das Ministerium für öffentliche Arbeiten zunächst sogar um einen eigenen Entwurf und machte mit dem Prestige-Objekt Werbung im In- und Ausland. Erst Kritik und Proteste derjenigen, die dabei ausgeschlossen waren, führten zu einer Beteiligung der Privatwirtschaft. Das Ministerium musste einen beschränkten Wettbewerb ausschreiben. Daran beteiligten sich fünf größere Maschinenfabriken und Schiffswerften mit zehn verschiedenen Entwürfen zu Senkrecht-Hebewerken und geneigten Ebenen. Gewinner war das Unternehmen Haniel & Lueg. Im Frühjahr 1894 erteilte ihm das Ministerium der öffentlichen Arbeiten den Auftrag zum Bau eines Schiffshebewerks.
Den Grundgedanken für dieses Hebewerk auf Schwimmern erläuterte der Oberingenieur Gerdau anschaulich und auf Verständlichkeit bedacht: „Dieses Gewicht 16 [!] Meter hoch zu heben, würde natürlich eine gewaltige Kraft erfordern. Um dies zu vermeiden, muß eine Kraft gesucht werden, die dieses Gewicht stets ohne weitere Kraftäußerung nach oben treibt. Man könnte sich ja eine ganze Reihe von Ballons an dem Schiffstroge befestigt denken, die das Gewicht des Troges aufheben und ihn schwebend erhalten; das ist natürlich practisch nicht auszuführen. Es wird aber dasselbe erreicht, wenn man sich eine Reihe großer eiserner Ballons oder Schwimmer vollständig unter Wasser befindlich denkt, die oben starke Ständer tragen, worauf der Schiffstrog ruht. Der Auftrieb dieser Schwimmer hebt das Gewicht des Troges vollständig auf; und der Trog kann nun leicht auf- und abbewegt werden.“
Bei diesem Schwimmer-Hebewerk ruht der Schiffstrog auf fünf luftgefüllten Tauchkörpern (Schwimmern), die sich in fünf wassergefüllte Brunnen eintauchen. Das nach unten drückende Gewicht von gefülltem Trog, Trogstützen und Schwimmern befindet sich im Gleichgewicht mit dem nach oben wirkenden Auftrieb. Die Kraft des Auftriebs ergibt sich aus dem Volumen der luftgefüllten Schwimmer. Schon eine geringe Erhöhung oder Reduzierung der Wasser-Menge im Trog führt zur Abwärts- oder Aufwärtsbewegung des Trogs. Vier über einen zentralen Elektromotor angetriebene Führungsspindeln von 24,60 m Länge regulieren die Hebe- und Senkvorgänge und sichern eine stets waagerechte Lage des Schiffstrogs.
Bis auf kleinere technische Störungen hat das Hebewerk alle Erwartungen erfüllt. Darüber hinaus war es ein Knotenpunkt für die Organisation des Schifffahrts- und Wasserstraßenbetriebs. Nach der Fertigstellung des Hebewerks wurde auf der Südseite des Kanals eine kleine Siedlung für die Bediensteten des Hebewerks errichtet, davon abgesetzt auf der Nordseite ein Haus für den Dienststellen-Leiter. An Ort und Stelle entwickelte sich ein reger Baustellen- und Betriebstourismus.
„Urkunde in Stein“ – Architektur mit Botschaft
Die Aufgabe, Schiffe zu heben, hatten die Ingenieure mit den Mitteln des modernen Stahlgerüst- und Maschinenbaus gelöst. Prägend für das „Fernbild“ des Hebewerks war jedoch die Stein-Architektur. Der Oberbaudirektor Carl Hinckeldey im Berliner Ministerium der öffentlichen Arbeiten hatte sie entworfen. Unter konstruktiven Gesichtspunkten war sie nicht notwendig. Sie verkleidete einen Teil der Technik. Doch mit der Architektur formulierte der Bauherr eine Botschaft an das Volk. Fortschritt bestimmt den Gang der Geschichte. Ihr Repräsentant ist Preußen.
Das Staatswappen auf der Schauseite des Oberhaupts zeigt den preußischen Adler mit den Staatsinsignien Krone, Zepter, Reichsapfel und mit den verschlungenen Buchstaben F[ridericus] und R[Rex] für Friedrich I., den ersten König von Preußen. Die Wappen der Provinz Westfalen auf der Südseite und der Provinz Hannover auf der Nordseite bezeichnen die beiden Provinzen Preußens, die der Dortmund-Ems-Kanal durchzieht.
Die Elemente des Kunstwappens auf dem Torleitstand des Unterhaupts erinnern an alte und neue Wirtschaftsblüte zu Zeiten der Hanse und in der preußischen Gegenwart. Dass dem gesamten Mittellandkanal-Projekt gutes Gelingen - Fortuna - beschieden sei, legt das zinnenbekrönte Frauengesicht nahe. Mit diesen Botschaften wurden die Schiffer am Schiffshebewerk Henrichenburg begrüßt und verabschiedet. Abbildungen und Postkarten trugen sie in die ganze Welt.
Mit dem Ausbau des Dortmund-Ems-Kanals für größere Schiffe wurde das alte Schiffshebewerk, später auch die benachbarte Schachtschleuse zu klein. Nach der erfolgreichen Inbetriebnahme des neuen Schiffshebewerks Henrichenburg im Jahr 1962 verfiel das alte Hebewerk. Der Abriss wurde vorbereitet. Die betriebstechnischen Einrichtungen wurden demontiert, verschrottet oder geplündert. Eine lokale Bürger-Initiative leitete das Umdenken ein und die Bundeswasserstraßen-Verwaltung verzichtete auf den Abriss.
Vom Industrie-Denkmal zum Museum
Aufbauend auf dem Konzept der Denkmalpflege für eine Erhaltung an Ort und Stelle beschloss der Landschaftsverband Westfalen-Lippe in Abstimmung mit dem Land Nordrhein-Westfalen 1979 den Aufbau eines dezentralen Westfälischen Industriemuseums. Nach aufwändiger Restaurierung und Rekonstruktion ohne die Wiederherstellung der ursprünglichen Funktion ist das alte Schiffshebewerk Henrichenburg in Waltrop seit 1992 ein vielbesuchtes und beliebtes Museum für die Geschichte des westdeutschen Kanalnetzes und seiner Schifffahrt, 1995 international ausgezeichnet mit einer besonderen Empfehlung im europäischen Wettbewerb „Museum of the Year Award".
Inzwischen umfasst das Museum auch einen Museums-Hafen, eine Werft, einen Hafen- und Umschlag-Platz und eine einzigartige Sammlung originaler historischer Schiffe.
Mit der Erhaltung des Hebewerks und dem Ausbau zu einem Museum leisteten der Bund und das Land Nordrhein-Westfalen, die Stadt Waltrop und der Landschaftsverband Westfalen-Lippe einen wichtigen Beitrag dazu, dass die Kultur-Landschaft der westdeutschen Wasserstraßen und ihrer Schifffahrt neben einem charakteristischen Wahrzeichen auch ihr Gedächtnis behielt. Bürgeschaftliches Engagement stand am Anfang dieser Erfolgsgeschichte.
Technische Daten und Fakten
Schiffshebewerk Henrichenburg
Typ: Senkrecht-Hebewerk mit Gewichts-Ausgleich durch fünf Schwimmer
Hubhöhe: 14 m; 13,50 m (nach Erhöhung des unteren Kanal-Wasserspiegels)
Trog-Abmessungen: 70 m Länge, 8,80 m Breite, 2,50 m Tiefe [Nutzfläche: 68 m x 8,50 m]
Gesamtgewicht: 3.050 t; zusammengesetzt aus 1400 t Eigengewicht des Troges mit Stützen und Schwimmern und 1650 t Wassergewicht im Trog
Energie: Die Stromversorgung des zentralen Spindelantriebs (150 PS) und der Motoren für die gekuppelten Trog- und Haltungstore an der oberen und der unteren Kanalhaltung (je 90 PS) sowie der vier Spills erfolgte über eine 220 PS-Dampfdynamomaschine im neben dem Hebewerk stehenden Maschinenhaus. Eine weitere Dampfmaschine mit Dynamo betrieb die beiden Kreiselpumpen für die Wasserhaltung im Kanal zwischen Hebewerk und Dortmunder Hafen. Der Dampf wurde mittels dreier Wasserrohrkessel von je 100 m² Heizfläche erzeugt.